Thomas Zernechel: „Logistik wird teurer werden“

Der Leiter der Volkswagen Konzernlogistik spricht im Interview über weitere Verlagerungen auf die Schiene, alternative Kraftstoffe in der Schifffahrt, die kommenden Coronamonate und die Leistung der Logistiker in der Krise.

Thomas Zernechel, Leiter der Volkswagen Konzernlogistik. (Foto: Volkswagen AG)

Thomas Zernechel, Leiter der Volkswagen Konzernlogistik, spricht im Skype-Interview über weitere Verlagerungen auf die Schiene, alternative Kraftstoffe in der Schifffahrt, die kommenden Coronamonate und die Leistung der Logistiker in der Krise.

DVZ: Herr Zernechel, wo sind Sie gerade?

Thomas Zernechel: Ich bin im Büro, derzeit etwa zwei Tage in der Woche. Drei Tage arbeiten wir in der Regel mobil von zu Hause. Aber ich war monatelang eigentlich zu 100 Prozent im Homeoffice.

Der Deutsche Logistik-Kongress findet in dieser Woche nun doch nur rein digital statt. Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) hatte wegen der stark gestiegenen Corona-Neuinfektionen die Präsenzveranstaltung abgesagt. Wollten Sie teilnehmen?

Ursprünglich hatte ich das geplant, aber wir sehen bei Volkswagen von Dienstreisen in Risikogebiete ab.

Warum hätten Sie den persönlichen Austausch in Berlin bevorzugt?

Natürlich muss man zunächst die Risiken für die Menschen abwägen. Aber jemanden zufällig beim Logistik-Kongress zu sehen und eine Idee zu bekommen und darüber dann auch gleich zu reden, ist ein großer Vorteil. Man erhält vor Ort einfach viel mehr Inspiration. Digital kann man zwar heute schon viel erledigen, bei einer kritischen Diskussion wird es allerdings schon schwieriger. Das wird bestimmt noch besser, wir müssen uns aber wahrscheinlich noch mehr daran gewöhnen.

Haben Sie seit dem Corona-Ausbruch überhaupt einmal an einer Branchenveranstaltung teilgenommen?

Nein. Wenn, dann war ich nur digital dabei, so wie bei unserem internen Innovationstag, den wir in diesem Jahr auch nur rein digital ausgerichtet haben. Das geht, aber ist nicht das Gleiche.

Das Motto beim Deutschen Logistik-Kongress, der heute startet, lautet „Nachhaltig gestalten“. Mit Blick auf die ökologische Komponente: Was sind da die Eckpfeiler der Strategie in der Konzernlogistik?

Der Volkswagen-Konzern will bis 2050 klimaneutral werden. Die Konzernlogistik leistet hier einen wichtigen Beitrag und hat einen strategischen Plan, wie wir da hinkommen. Dazu gehört erstens, dass wir permanent die Ist-Prozesse prüfen und schauen, was sich noch optimieren lässt. Ich bin zum Beispiel jemand, der öfter mal in die Behälter schaut, um zu sehen, wie gut sie gefüllt sind. Hier geht es also um die Frage: Nutzen wir unsere vorhandenen Ressourcen vernünftig aus?

Wie lautet die Antwort?

Da stellen natürlich auch wir fest, dass es noch Potenzial gibt.

Und der zweite Eckpfeiler?

Da geht es dann um Alternativen, also zum Beispiel mehr Bahnverkehre. Wir setzen zwar bereits stark auf die Schiene, aber auch hier gibt es noch Potenzial. Das ist dann auch eine wirtschaftliche Frage, da müssen wir alle kämpfen, auch die Bahn mit zusätzlichen Angeboten.

Was bräuchte Volkswagen denn, um noch mehr Volumen auf die Schiene verlagern zu können?

Wir benötigen hochproduktive Kombinierte Verkehre. Der Knackpunkt hierbei ist die Schnittstelle Straße-Schiene, an der technisch ein Bruch im Prozess ist – und dies kostet Zeit und Geld. Hier benötigen wir Top-Technik, so dass nur geringe Produktivitätsverluste zu erwarten sind. Und dann brauchen wir Ganzzüge, bei denen wir völlig gemischt unterwegs sein können. Damit meine ich zum Beispiel Material und Fahrzeuge von mehreren Autoherstellern oder auch eine Kombination mit Zulieferern oder vielleicht sogar mit anderen Industrien. Nur so können wir täglich getaktete Ganzzüge auch für geringere Volumen bekommen.

Wie werden die Emissionen in der Logistik gemessen?

Da haben wir schon vor Jahren begonnen, ein System aufzubauen. „Luis“, wie unser logistisches Umweltinformationssystem heißt, bringt die nötige Transparenz in die transportbedingten Emissionen aller von uns genutzten Verkehrsträger. Es bildet die Prozesse vom jeweiligen Lieferanten bis in den Handel ab.

Bleiben wir einmal beim Beispiel Bahn: Welche Maßnahmen laufen hier aktuell, um die Logistik grüner zu machen?

Bis Anfang 2021 werden wir zum Beispiel in Deutschland die Bahntransporte mit DB Cargo komplett auf Grünstrom umstellen. Und noch viel wichtiger: Wir werden den Anteil der Bahnverkehre für unsere Fertigfahrzeuge von diesem Jahr an bis 2022 von 53 auf 60 Prozent erhöhen, also um fast 15 Prozent. Das spart pro Jahr in Europa rund 50.000 LKW-Fahrten und damit eine große Menge CO2.

Auf dem Seeweg hatte Volkswagen damit begonnen, mit flüssigem Erdgas (LNG – Liquefied Natural Gas) angetriebene Autofrachter von Europa nach Nord- und Mittelamerika für die Fahrzeugtransporte einzusetzen.

Ja, das erste LNG-Schiff ist bereits im Einsatz, und das zweite folgt jetzt.

Der Klimavorteil von LNG-Antrieben wird allerdings angezweifelt. Ein Grund dafür ist das aggressive Klimagas Methan, das beim Betrieb austritt.

Dieser sogenannte Methanschlupf ist jedoch bei den bei uns verbauten, hocheffizienten Motoren von MAN technisch gelöst. Auch die weiteren Prozesse wie das Umladen oder Betanken müssen natürlich sauber und technisch sicher sein. Und ja, LNG hat zwar keine CO2-Neutralität, aber bessere Werte als Schweröl – nämlich um 25 Prozent geringere CO2-Emissionen. LNG reduziert auch weitere Luftschadstoffe erheblich: Stickoxid um bis zu 30 Prozent, Rußpartikel um bis zu 60 Prozent und sogar um 100 Prozent bei Schwefeloxid – im Vergleich zu dem sonst verwendeten konventionellen Treibstoff. LNG bietet uns vor allem perspektivisch die Möglichkeit, auf synthetische Gase umzustellen und dann nahezu CO2-neutral zu sein. In SNG, also Synthetic Natural Gas, sehe ich in vielen Bereichen die Zukunft im Schiffsverkehr.

Wie teuer sind die aktuellen Alternativen gegenüber dem herkömmlichen Schiffsdiesel?

Sie kosten uns auf das Auto gerechnet natürlich etwas mehr. Aber Klimaschutz gibt es im Allgemeinen nicht zum Nulltarif.

Welche Bedeutung hat der Schiffsverkehr überhaupt bei den Emissionen?

Im Verhältnis zu anderen Verkehrsträgern transportieren wir nur wenig Materialien und Fahrzeuge über die See, aber die langen Strecken bedeuten natürlich CO2-Emissionen, die ins Gewicht fallen und die wir reduzieren wollen. Bei den transportbedingten CO2-Emissionen liegt der Anteil bei etwa 40 Prozent. Der größte Anteil entfällt mit circa 50 Prozent auf die Straße. Dort könnten wir es mit batterieelektrisch betriebenen LKW perspektivisch schaffen, vorausgesetzt man hat regenerative Energie. Auch synthetische Kraftstoffe behalten wir im Blick. In den Kraftstoffen und in der Energieerzeugung generell sehe ich den Schlüssel zum Erfolg.

Sollte es eine stärkere Regulierung hin zu einer klimaschonenderen Logistikwirtschaft geben?

Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen wollen, dann, glaube ich, wird es dazu kommen, dass die Gesetzgeber stärker eingreifen werden. Beispielsweise gilt ab kommendem Jahr bereits in Deutschland ein Preis von 25 EUR pro Tonne CO2 im Emissionshandel für den Verkehr, also zum Beispiel für Benzin und Diesel.

Glauben Sie, dass die Coronapandemie den Wandel hin zu ökologisch nachhaltigeren Lieferketten beschleunigen wird?

Da kann ich noch keinen Zusammenhang erkennen.

Hat die Coronakrise in anderen Bereichen etwas Heilsames?

Ich glaube nicht, dass etwas krank war. Aber ein Effekt zeigt sich jetzt bereits: Man kann, egal wo man ist, international jederzeit zusammenarbeiten. Und ich denke, die Qualität der digitalen Lösungen wird hier noch deutlich zunehmen.

Wird die Digitalisierung auch insgesamt beschleunigt?

Ja, das glaube ich.

Inwieweit wird die Coronakrise die Logistik und die Gestaltung von Lieferketten verändern?

Auswirkungen auf logistische Prozesse sehe ich nicht. Auch hier betrifft es eher die Digitalisierung, aber diese Transformation haben wir schon vorher angestoßen. So werden wir künftig noch genauer und in Echtzeit wissen, welche Materialien wie und wo unterwegs sind, und zwar vom Lieferanten bis zum Kunden. Dadurch werden wir schneller, effizienter, nutzen die Transportkapazitäten besser und schonen so die Umwelt.

Im vergangenen Jahr haben Sie im DVZ-Interview gesagt: „Die Lieferwege werden sich verkürzen“. Bleiben Sie dabei, dass dies der Trend sein wird, nach der Krise vielleicht sogar mehr denn je?

Ja, das sehe ich weiterhin so – aber noch mal: Das hat alles nichts mit Corona zu tun. Logistik wird teurer werden – durch die Maßnahmen zur Dekarbonisierung, durch Regulierungen und auch durch andere Technik. Und dann ist es nur logisch, dass sich Lieferwege verkürzen werden. Das ist jetzt bereits zu erkennen.

Wenn Sie auf die kommenden Monate blicken: Was könnte mit den Volkswagen-Lieferketten passieren, wenn sich die Coronalage in Deutschland und im Ausland weiter verschlimmert?

Zunächst einmal: Wir müssen ja immer wieder auf ganz unterschiedliche Herausforderungen reagieren und sicherstellen, dass die Lieferketten nicht abreißen: Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben, Überschwemmungen, oder gar eine Reaktorkatastrophe. Wir hatten daher schon vor Corona ein sehr gutes Krisenmanagement und standardisierte Prozesse. Aktuell verursacht die Pandemie keine Störungen in unseren Lieferketten. Einzelne Lieferanten melden zwar Störungen in ihren Prozessen, die sich jedoch im Rahmen des Handhabbaren bewegen. Aber natürlich beobachten wir die Lage kritisch. Auch bei Volkswagen selbst sorgen wir selbstverständlich bestmöglich vor. Unser 100-Punkte-Plan für maximalen Gesundheitsschutz wird konsequent eingehalten und hat sich absolut bewährt.

Sind Sie nach den Monaten der Krise jetzt auch besser vorbereitet, zum Beispiel durch Alternativlieferanten?

Zum einen geht das gar nicht so schnell. Zum anderen hatten wir aber auch keinen Fall, bei dem ich sagen würde: Wenn wir einen anderen Lieferanten gehabt hätten, wäre es besser gewesen. Und wir haben ja schon bei den Ereignissen der vergangenen Jahre reagiert und unser Lieferantennetz etwas angepasst. Wichtig ist, dass man gute Werkzeuge hat, mit denen man solch eine Krise transparent überwachen und dann auch schnell agieren kann.

In der schlimmsten Phase der Coronakrise mussten Werke auch des Volkswagen-Konzerns geschlossen werden. Ist das wieder ein mögliches Szenario in den kommenden Monaten, oder können Sie das ausschließen?

Ich gehe nicht davon aus, dass es zu einem erneuten Shutdown kommt. Aber Störungen durch fehlende Kapazitäten im Lieferantennetzwerk, auch durch Personalmangel bei unseren Lieferanten, sind durchaus wahrscheinlich. Darauf bereiten wir uns vor.

Störungen durch fehlende Kapazitäten im Lieferantennetzwerk, auch durch Personalmangel bei unseren Lieferanten, sind durchaus wahrscheinlich.

Wie haben sich die Logistikdienstleister bisher in der Krise geschlagen?

Da bin ich sehr zufrieden, die haben alle einen guten Job gemacht, und dafür möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bedanken. Hier macht es sich bezahlt, wenn man mit erfahrenen Unternehmen intensiv zusammenarbeitet. Ein Beispiel ist unser Gebietsspediteur in Italien, der für uns in den schwierigsten Wochen der Krise sehr wichtig war. Wir haben täglich mehrfach miteinander gesprochen, um ein Bild von der Lage in Italien zu erhalten. Auch mit unseren anderen Dienstleistern und Kollegen aus der Beschaffung, der Qualitätssicherung und der technischen Entwicklung waren wir ständig im Kontakt, um den Bandstillstand abzuwenden.

Herr Zernechel, vielen Dank für das Gespräch.

Thomas Zernechel

Der 61-Jährige startete seine Laufbahn bei Volkswagen 1980. Ab 1992 leitete er die Disposition im Werk Wolfsburg. Nach Stationen unter anderem in Pamplona und Bratislava übernahm er 2004 die Leitung der Volkswagen Konzernlogistik.

Webinar

Zum 1. Januar 2021 startet der nationale Emissionshandel auf Brenn- und Kraftstoffe. Damit wird der Dieselpreis um 7,9 ct/l steigen, wie der „EID Energie Informationsdienst“ mitteilt. Zusammen mit Branchenexperten wird die DVZ-Schwesterpublikation am 29. Oktober in einem zweistündigen Webinar mögliche Handlungsoptionen für Unternehmen aufzeigen sowie offene Fragen zur Umsetzung diskutieren.

www.eid-aktuell.de/veranstaltungen

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